12. Verkehrsberuhigte Wohngebiete​

Wir fordern:

pro Jahr Schließung von mind. zehn „Schleichwegen“ für Kfz –
stattdessen kindgerechte Wohnstraßen, Begegnungszonen, Grünflächen etc.

Daten & Fakten

Aktuelle Situation

Wohnstraßen in Graz
18
Wohnstraßen in Salzburg
31
Wohnstraßen in Freiburg
199

Quelle: FGM (2019).

Definitionen

verkehrsberuhigt    ohne Durchzugsverkehr, nur Zu- und Abfahrten von Anrainer*innen
Wohngebiet    Flächen mit Wohngebäuden, die einem dauernden Wohnbedarf dienen
Schleichweg    Nebenstraße, die für den Durchzugsverkehr genutzt wird
kindgerecht    so, dass Eltern ihre Kinder unbeaufsichtigt auf der Straße spielen lassen
Wohnstraße    eine für den Fußgänger- und beschränkten Fahrzeugverkehr gemeinsam bestimmte und als solche gekennzeichnete Straße

Spielplätze und Grünflächen statt Kreuzungen. Quelle: Christian Kozina

Hintergrund

Warum braucht es diese Veränderung?

In den letzten Jahrzehnten wurde der öffentliche Raum in Graz immer mehr von Autos erobert. Dort, wo früher Kinder spielen konnten, drängen sich heute Fahrzeuge durch die Gassen; dort, wo früher Wiesen und Felder waren, stehen heute Supermärkte mit riesigen Parkplätzen.

Gerade Kinder brauchen aber den Platz, um sich entwickeln zu können: Eine Studie der Universität Essen zeigt, dass Kinder in ungünstigen Wohngebieten häufig psychomotorische, kognitive und soziale Defizite aufweisen. Die entscheidende Größe dabei ist die „Aktionsraumqualität“. Eine hohe Aktionsraumqualität definiert sich im weiteren Umfeld über „Tempo 30, Verkehrsberuhigung, geringe Fahrbahnbreite, geringe Lärmbelästigung und wenig parkende Fahrzeuge“, im engeren über „reines Wohngebiet, keine verkehrsreichen Straßen, größere Grünflächen und Spielplätze.“ [1]

Eine empirische Erhebung in Zürich bestätigt das: Kinder in verkehrsberuhigten Gebieten haben fast vier Mal (!) so viele Freund*innen wie jene in verkehrsbelasteten Gegenden. Auch bei den Eltern sind es doppelt so viele Sozialkontakte. [7]

Auf Graz umgelegt bedeutet das, dass der Verkehrsraum in Wohngebieten umgestaltet werden muss – ohne Durchzugsverkehr, mit wenigen Parkplätzen, dafür mit viel Platz zum Spielen und Bewegen. Wohnstraßen bieten sich dafür schon per Definition an. [2]

Wie ist die aktuelle Situation?

In Graz wurden ab den 1960er-Jahren Wohnstraßen errichtet. Bald schon kam dieser Trend jedoch zum Erliegen. Erst ab 2011 wurde die Idee wieder aufgegriffen. Die Stadt entwickelt dazu sogar einen eigenen Partizipationsprozess [3]. Allerdings verlief die Umsetzung nicht reibungslos [4], sodass nur ein Projekt verwirklicht werden konnte [5].

Stattdessen steigt mit dem Wachstum der Stadt der motorisierte Individualverkehr [8]. Da der Raum in Graz begrenzt ist, kommen die Hauptstraßen immer öfter an ihre Kapazitätsgrenze. Der Autoverkehr weicht dadurch über Nebenstraßen aus – und entwertet die Wohngebiete.

Was sind die Alternativen?

Wie es gehen könnte, zeigt Barcelona: Dort wurden mehrere Blöcke zu einem großen „Superblock“ zusammengefasst. Der Straßenraum steht dort vorrangig den Anrainer*innen zur Verfügung – und zwar nicht zum Parken, sondern vor allem zum Bewegen, Spielen und Draußen-Sein. Pkws können zu- und ab-, aber nicht durchfahren – die großen Verkehrsströme werden außen herumgeführt. Dadurch entsteht nicht nur mehr Platz, sondern auch Luftverschmutzung und Lärm sinken. Eltern können ihre Kinder beruhigt vors Haus lassen – und diese können sich gut entwickeln. [6]

Beispiel: Superblocks für Graz

Für Graz ließe sich das ganz ähnlich umsetzen: Auch hier wäre es möglich, die Hauptstraßen klar zu definieren, und alles dazwischen zu Superblocks ohne Kfz-Durchzugsverkehr umzugestalten. Das könnte mit sehr einfachen Mitteln gelingen (z.B. Sackstraßen durch Blumentröge, Einbahnstraßen in U-Form, abschnittsweise Fahrverbote) und würde auch die Umsetzung von Wohnstraßen deutlich erleichtern (kein Durchzugsverkehr!).

Die Grazer Superblocks ergeben sich aus einer Neudefinition des höherrangigen Straßennetzes. Das könnte so aussehen:

Dadurch würden viele heute stark befahrene Straßen zurückgestuft und wären nur mehr für den lokalen Verkehr oder überhaupt nur mehr für Zu- und Abfahrten nutzbar. Das würde die Anrainer*innen enorm entlasten.

Gleichzeitig würde sich die Fließgeschwindigkeit des motorisierten Verkehrs insgesamt vorübergehend verlangsamen – so lange, bis diejenigen, die nicht auf das Auto angewiesen sind, auf andere Verkehrsmittel umsteigen.

Quellen

[1] LIMBOURG, M. (1999): Der Einfluss des Straßenverkehrs auf die Lebens- und Enwicklungsbedingungen von Kindern. URL: https://www.uni-due.de/~qpd402/alt/texte.ml/Lebens

[2] Wikipedia (2017): Wohnstraßen. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnstra%C3%9Fe

[3] Stadt Graz (2019): Wohnstraßen. URL: https://www.graz.at/cms/beitrag/10191126/7760054/Wohnstrassen.html

[4] Kleine Zeitung (2014): Kuriose Vollbremsung bei Befragung zu Wohnstraßen. URL: https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/4116929/Graz_Kuriose-Vollbremsung-bei-Befragung-zu-Wohnstrassen

[5] Stadt Graz (2013): Wohnstraße Eppensteinerweg/Th.-Stammel-Straße. URL: https://www.graz.at/cms/beitrag/10191124/8041098/Wohnstrasse_EppensteinerwegTh_Stammel_Strasse.html

[6] BCN Ecologia (2019): Superblocks. URL: http://www.bcnecologia.net/en/conceptual-model/superblocks

[7] REITER, K. (2018): Mehr Platz für Fuß- und Radverkehr? URL: https://aktiv-demokratie.at/files/uploads/57%20Forum%20Reiter%20Screen.pdf

[8] KOZINA, C. (2018): Graz definiert seine Durchzugsstraßen neu. In: Das neue Grazer Mobilitätskonzept. URL: http://graz-verkehr.at/Mobilitaetskonzept_Graz_2018.pdf. S. 52 ff.